Unser nächster Abschnitt startet mit einem kleinen Roadtrip: Von Bishop aus mieten wir ein Auto und fahren ca. 800 km hoch nach Ashland, um von dort aus wieder zurück nach Süden zu laufen und so hoffentlich den schlimmsten Flussquerungen und Schneemassen zu entgehen. Wir haben Glück und ergattern den letzten verfügbaren Leihwagen. Durch die krasse Wetterlage in der Sierra Nevada fahren die meisten Hiker ebenfalls in Richtung Norden. Wir legen noch einen Café Stop in Mammoth ein und treffen dort Ida aus Schweden, eine andere Thruhikerin, die hier eine Woche pausiert. Die Strecke führt durch wunderbare Landschaften und zur Linken sehen wir die hohen, schneebedeckten Bergmassive der Sierra, die wir in den nächsten Wochen überqueren müssen.
In Ashland füllen wir unsere Bärenkanister mit neuer Verpflegung. Der Platz ist limitiert und unser Hunger bekanntlich groß und so spielen wir immer wieder Tetris, bis sich der Kanister endlich schließen lässt. Kleine Lücken werden mit einzelnen Bonbons oder M&Ms gestopft. Wir verbringen die Nacht im Zelt im Garten von Callahan's, einer schicken Lodge nahe des Trails. Die Hochzeitsgesellschaft, die in den schönen Zimmern untergebracht ist, hat vermutlich einen interessanten Ausblick auf unser buntes Lager unter der Restaurantterrasse.
Am nächsten Morgen hiken wir raus. Die Sonne scheint und der PCT schlängelt sich kontinuierlich hoch auf den Mount Ashland. Wir blicken in grüne Täler und ahnen noch nicht, was uns einige Meilen später erwartet. Nach einer Nacht im Wald steigen wir wieder auf über 2.000 m auf, folgen einer Bergkette und stecken mit einem Mal im Schnee. Soviel zu unserem Plan, dem Winter zu entkommen... Der Trail verläuft nun an steilen Hängen entlang, die noch immer unter mehreren Metern Schnee begraben sind. Die warme Sonne lässt die Oberfläche antauen, sodass unsere Schuhe im Nu klitschnass sind, während der Trail auf der Nordseite der Berge vereist und glatt ist. Zum Glück haben wir unsere Mikrospikes dabei. Dennoch ist es sehr beschwerlich, an den abfallenden Hängen den nötigen Grip zu bekommen. Auf den flacheren Bergrücken ist der PCT gar nicht mehr zu erkennen und wir navigieren mit GPS. Zum Teil weichen wir auf Forstwege aus, die zwar auch tief verschneit, aber dafür nicht so steil sind. Insgesamt kommen wir nur langsam voran und das rutschige Gekraxel macht sich nach einigen Meilen in den Gelenken bemerkbar. Malin rutscht an einem steilen Hang aus und schlittert das Schneefeld runter; Sie nimmt ordentlich Geschwindigkeit auf, sodass sie selbst auf dem matschigen Waldboden darunter nicht stoppen kann. Nach einigen Metern bremst dann ein umgestürzter Baum die Rutschpartie. Nasse Schuhe, nasser Hintern... auch das ist Kalifornien im Sommer!
Am dritten Tag erreichen wir wieder schneefreies Gelände. Nach einem langen, anstrengenden Wandertag trotte ich den schmalen Trail entlang, als es plötzlich rechts im Gehölz laut kracht. Ein Schwarzbär bricht unvermittelt aus dem Wald und steht direkt vor mir, nur 3 m entfernt, auf dem Weg. Wir starren uns beide überrascht an. Dann tritt Malin auf einen morschen Ast und der Bär macht einen Sprung und läuft davon. Wow, unser erster PCT Bär!
Hinter Castella, einige Tage später, haben wir dann gleich noch eine Bärenbegegnung. Diesmal sichten wir zunächst ein dunkelbraunes Bärenjunges, das vom Trail aus die Böschung hoch läuft. Kurz darauf entdecken wir noch ein zweites hellbraunes Junges und die Mama. Die drei Tiere beobachten uns aus etwa 10 m Abstand vom Berghang hinunter. Mit Rufen, Geklatsche und sogar schrägem Gesang versuchen wir sie zu vertreiben - vergebens. Allerdings ist das Muttertier ganz entspannt und so bleibt uns letztlich nichts anderes übrig, als vorsichtig an den Bären vorbei zu gehen.
Weniger spektakulär, aber dafür umso lästiger sind die Milliarden Moskitos, die uns jetzt täglich auflauern. In den waldigen Gebieten, die bereits schneefrei sind, wimmelt es nur so vor den Blutsaugern. Abends im Camp ist es zum Teil so schlimm, dass wir trotz Hitze mit Regenklamotten ums rauchige Lagerfeuer sitzen und versuchen, unser Essen schnell unter dem Kopfnetz hindurch in den Mund zu schieben. Trotz allem zähle ich nach dieser Etappe 145 Stiche!
Die letzten Tagen erreicht uns dann eine Hitzewelle mit Temperaturen bis zu 45°C. Selbst abends kühlt es nicht merklich ab. In den Mittagspausen rasten wir oft an brausenden Flüssen, die herrlich eisig sind vom schmelzenden Schnee aus den Bergen. Es ist schon ein verrücktes Gefühl: mit den Füßen steckt man in Eis und Schnee und von oben brennt die kalifornische Sonne auf einen runter. Eigentlich müsste der Schnee doch in kürzester Zeit geschmolzen sein...?
Kurz vor Burney führt der PCT durch den McArthur-Burney Falls Memorial State Park. Wir bestaunen dort große Wasserfälle, die "Burney Falls", und freuen uns anschließend auf einen entspannten Tag in der Mountain Guest Ranch mit allem, was Hiker brauchen: Duschen, einer Waschmaschine und viiiel Essen...
Auf den nächsten Abschnitt haben wir uns schon lange gefreut: er führt uns durch den vulkanischen Lassen National Park. Heiße Quellen, dampfende Geysire, viele Seen und natürlich der schneebedeckte Mount Lassen, der größte Lavadom Vulkan der Welt.
Von Burney aus wandern wir zunächst durch eine trockene, steppenartige Landschaft, die langsam immer grüner wird. Über schwarzes Lavageröll geht es dann stetig hoch auf eine langgezogene Steilkante, der wir anderthalb Tage lang folgen. Zur Rechten hat man einen grandiosen Weitblick über das bewaldete Tal, zurück auf den hohen, schneebedeckten Mt. Shasta und den vor uns liegenden Mt. Lassen. Die Steilkante bietet kaum Schatten und es ist mal wieder extrem heiß und staubtrocken. Temperaturen, wie an den heißesten Tagen in der Wüste. Damit haben wir hier oben gar nicht mehr gerechnet. Nachmittags geht uns einige Meilen vor dem nächsten Tank das Wasser aus. Nicht weiter dramatisch, aber unangenehm. Gierig trinken wir jeder erstmal einen Liter auf Ex, als wir endlich den großen Wassercaché erreichen. Wir kochen unser Abendessen direkt am Tank und wandern danach noch einige Meilen mit neuen Wasserreserven bepackt in den Abend, bevor wir unser Lager auf dem höchsten Punkt vor einem traumhaften Sonnenuntergang aufschlagen. Wir schlafen ohne Überzelt und können so kurz darauf auch noch den leuchtenden Sternenhimmel bewundern. Es sind genau solche Momente, die einem trotz aller Strapazen auf dem Trail ein grundauf zufriedenes Lächeln ins Gesicht zaubern.
Am nächsten Tag führt uns der PCT runter nach Old Station, ein winziges Örtchen mit einer Tankstelle, JJ's Café, einem Nature Center und RV Park. Wir genießen unsere Mittagsrast mit eiskalter Soda, Avocado-Burgern und einem riesen Becher Eiscreme von der Tankstelle. Anschließend laufen wir noch einige Meilen durch lichten Nadelwald. Am nächsten Morgen folgen wir erst dem rauschenden Hat Creek, steigen einige Höhenmeter auf und überqueren dann endlich die Grenze zum Lassen National Park. Zunächst verläuft der PCT durch ein riesiges verbranntes Waldgebiet, nicht so spektakulär wie erwartet. An einem über die Ufer getretenen See (passenderweise der Soap Lake) waschen wir unsere Klamotten und baden in den Mittagshitze. Offenbar gibt es hier eine Heuschreckenplage; die kleinen Hüpfer versuchen doch tatsächlich unsere in der Sonne trocknenden Socken zu fressen, während wir faulenzen.
Es geht weiter durch wüstes Gehölz. Aber schließlich sind die verbrannten Gebiete geschafft, die riesigen Pinien wieder grün und frische Wiesen mit gelben Blumen ersetzen den Ascheboden. Der Schnee ist im Lassen größtenteils geschmolzen und wir kommen gut voran. Wasser gibt es nun überall und die blauen Seen reihen sich nur so aneinander. Neben kleineren Fließgewässern gilt es auch einen recht breiten Fluss mit starker Strömung zu überqueren. Etwas flussaufwärts entdecken wir einen dicken Baumstamm, auf dem wir trockenen Fußes ans andere Ufer balancieren. Abends bestaunen wir einen milchigblauen Schwefelsee und machen noch einen Abstecher zum "Terminal Geyser". Dampf steigt aus der Erde hoch, die Steine und der Fluss nahbei sind ordentlich aufgeheizt und es stinkt gehörig nach Schwefel. Island lässt grüßen!
Vor dem Abendessen wollen wir noch schnell Wasser an einer Quelle auffüllen, die sich etwas abseits des Trails an einer markanten Kurve befinden soll. Wir kraxeln durch dichtes Unterholz den Hang hinunter, können die Quelle aber nirgends finden. Wir teilen uns auf. Überall liegen umgefallene Bäume, dazwischen wachsen stachelige Büsche und die Mücken sind super aggressiv. Nach einer halben Stunde treffen wir uns wieder und ziehen Bilanz: alle haben zerkratzte Beine, völlig zerstochene Haut und Henning eine gemeine Verletzung von einem Ast am Auge. Aber er hatte auch Glück und hat im sumpfigen Gebüsch einen kleinen Bach entdeckt und die Wassersäcke aufgefüllt. Wir klettern müde zurück zum Trail hoch. Völlig entgeistert starre ich zwei Minuten später und eine Wegbiegung weiter ein kleines Holzschild mit der Aufschrift "Spring - 400 feet" an, das zu einem gut ausgetretenen Trampelpfad weist...
Bereits im Dunkeln schlagen wir an diesem Tag unsere Zelte auf und deponieren die Bärenkanister wie immer einige hundert Meter vom Lager entfernt. Im Lassen gibt es einen berüchtigten Campbär; er ist schon älter und luchst den Wanderern regelmäßig strategisch Essen ab, indem er bedrohlich auf sie zugeht und sich nicht verscheuchen lässt, bis die Leute ihren Rucksack stehen lassen und zurückweichen. Dann vertilgt er genüsslich seine Beute, während die Wanderer nur hilflos zuschauen können. Er hat noch nie wirklich jemanden angefallen, aber seine Methode funktioniert immer wieder hervorragend! - Hut ab.
Morgens höre ich energische Schritte ums Zelt stapfen und wundere mich, wieso die anderen schon so früh auf den Beinen sind. Oder ist es der Campbär? Als ich die Tür öffne, starrt mir ein neugieriges Reh in die Augen. Es ist überhaupt nicht scheu und schleicht auch noch weiter um uns rum, während wir zusammenpacken.
Noch einen Aufstieg gilt es an diesem Tag zu bewältigen und dann geht es den ganzen Tag kontinuierlich bergab. Am 4. Juli, Independence Day, kommen wir gegen Mittag in Chester an. Der ganze Ort ist am feiern. Kurz vor unserer Ankunft ist gerade eine Parade durch die Main Street gezogen und wir sind ganz erschlagen von den vielen Menschen und dem Trubel... Hinter der Kirche dürfen die PCT Hiker umsonst im Garten zelten. Es gibt sogar ein Plumpsklo, WLAN und einen Hahn mit Trinkwasser.
Vom Schnee ins Feuer...
Zusammen mit uns erreicht eine Hitzewelle Südoregon und bereits bei unserer Ankunft in Ashland ist es unglaublich heiß und stickig. Wir übernachten eine Nacht in der Jugendherberge, besorgen neue Gaskartuschen und packen Versorgungspakete für Oregon. Zufällig treffen wir Ina und Chris aus Süddeutschland wieder; Die beiden sind im April mit uns auf dem PCT gestartet und wir freuen uns riesig, sie hier wiederzusehen! Am nächsten Morgen frühstücken wir noch gemeinsam und dann geht's für uns zurück zum Trail.
Der PCT ist ab Ashland relativ flach und einfach zu laufen, aber dafür machen uns die schlappen 45°C zu schaffen. Schon morgens im Zelt fühlt man sich wie in der Sauna, sobald man sich in Bewegung setzt ist man schweißgebadet, mittags ist es für 3-4 Stunden schier unerträglich und wir liegen nur noch bewegungslos im Schatten und abends hängt noch immer schwüle Luft in den Tälern. Puh! Und wir dachten, die Wüstentemperaturen wären geschafft...
Drei Tagen geht's abwechselnd durch Moskitowälder und große, schwarze Lavafelder. Dann erreichen wir den Campground am Fish Lake. Wir verbringen einige Stunden auf der schattigen Veranda des
Cafés und schwimmen zwischendurch im See. Freche Chipmunks fressen sich derweil durch Malins Essenssack. Ich erhalte hingegen ein charmantes Geschenk: ein Chipmunk schleppt einen toten Fisch vom
See an und lässt ihn auf meine Füße fallen...äh, danke.
Als wir gerade weiterlaufen wollen, erreicht uns die Nachricht von einem großen Waldbrand rund um Crater Lake. Wir versuchen herauszufinden, welche Abschnitte des PCTs betroffen sind. Noch ist
nur ein Teil nördlich von Crater Lake gesperrt und ein weiteres Gebiet in Nordoregon, jedoch soll die Rauchbelastung auch weiter südlich schon recht heftig sein. Das Feuer ist auf dem nächsten
Abschnitt nur 3-5 Meilen vom Trail entfernt. Das ist uns etwas zu riskant - zumal wir auf dem Trail keinen Empfang haben und somit keine Chance, die neuesten Meldungen des Fire Departements zu
checken.
Da in Crater Lake ein Versorgungspaket auf uns wartet, geht es erstmal dorthin. Dann sehen wir weiter. Nachts auf dem Campground riecht man das Feuer schon intensiv und Asche rieselt vom Himmel. Am nächsten Morgen wird dann auch die Alternativroute entlang der Crater Lake Rim in nördlicher Richtung des PCTs gesperrt. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als Crater Lake weiter zu umgehen. Also machen wir uns auf den Weg zum Highway.
Oft staune ich, wie sich viele Dinge auf dem Trail spontan zusammenfügen und sich immer wieder neue Möglichkeiten auftun. Während wir also im Rauch am Crater Lake hocken, kommt mit einem mal ein weißer Chevy vorgefahren und darin sitzt Brenda. Wir haben Brenda vor etwa 3 Monaten in der Wüste kennengelernt, sie hat damals an einem heißen Tag (ähnlich wie heute) gekühlte Sodas an die Hiker verteilt. Und tatsächlich erkennt sie uns wieder und bietet an, uns weiter nördlich zum Trail zu fahren! Branda ist ein bunter Paradiesvogel und ihr Auto ist vollgestopft mit allerlei Campingequipment, Klamotten, bunten Tüchern und Kissen, dazwischen sitzt noch ein Dackel und eine Hitchhikerin mit Skateboard und Gitarre. Wir quetschen uns mit zwei anderen PCT-Hikern zu viert hinten aufs Bett, die Rucksäcke werden auch noch irgendwie verstaut und los geht die Fahrt durch die Rauchschwaden. Unterwegs blicken wir auf den Crater Lake herab, der unter den dicken Aschewolken kaum sichtbar ist.
Wir kehren in dem offenen Gebiet zwischen dem Crater Lake Feuer und dem Mt. Jefferson Feuer in Nordoregon zurück zum Trail. Der Weg führt uns zunächst für einige Tage größtenteils durch eintönigen Nadelwald. Dazwischen passieren wir immer wieder Seen und kleinere Tümpel und es wimmelt nur so vor Moskitos. Trotz Regenjacke und Kopfnetz werden wir total zerstochen. Nicht gerade angenehmes Wandern...
Dann kommen wir an den Three Sisters, drei markanten Bergen, vorbei und die Landschaft wandelt sich: Erst laufen wir durch herrliche Bergwiesen mit unzähligen blau-violetten Lupinen und gelben Butterblümchen. Die Insekten summen vor Freude und dazwischen brummen auch ein paar flinke Kolibris von Blüte zu Blüte. Im Hintergrund die schneebedeckten Sisters. Es folgt ein spektakulärer Abschnitt durch schwarz glänzenden Obsidian und Lavageröll. Wir rasten an einem Gletscherfluss hinter den Obsidian Falls und genießen den Anblick. Anschließend steigen wir über einen Pass weiter auf und befinden uns plötzlich in einer kargen Steinwüste mit noch einzelnen Schneeflecken. Was für ein grandioser Wechsel von satt blühender Natur zu schroffer Vulkanlandschaft!
Auch am nächsten Tag geht es noch weiter durch Lavafelder, vorbei an einigen Kratern, bis wir das Youth Camp am Big Lake erreichen. PCT-Hiker dürfen hier die Duschen und Waschmaschine nutzen. Gegen eine kleine Spende gibt es auch ein leckeres vegetarisches Essen. Allerdings handelt es sich um ein streng christliches Camp und als Malin nach der Dusche in ein großes Badelaken gewickelt unsere Klamotten holen will, löst sie zum Amüsement der anderen Hiker einen minderschweren Skandal aus und wird schleunigst vom Hof eskortiert... 😀
Als nächstes geht es für uns nach Sisters, von wo aus wir die weitere Strecke planen und die Feuersituation in Nordoregon checken werden. Seit drei Tagen ist schon wieder der Rauch des nächsten Feuers zu sehen und nachts rieselt erneut Asche vom Himmel. Schneechaos, Hochwasser, Hitzerekorde und nun Waldbrände - was für ein verrücktes Jahr für den PCT!
Ein letztes Mal gilt es Resupply Pakete zu packen und dann geht es von Cascade Locks aus über die berühmte "Bridge of the Gods" nach Washington. Es gibt keinen Fußweg und so laufen wir dicht am linken Brückengeländer entlang, während die Autos und Trucks sich an uns vorbeischieben. Ein Fahrer ruft aus dem Fenster "Where are you guys comin' from?" und wir rufen grinsend zurück "From Mexico!"
Washington begrüßt uns mit einigem Auf und Ab – aber auch mit jeder Menge Huckleberries und Brombeeren am Wegrand. Während wir die ersten Berge hochstapfen, werfen wir uns also genüsslich Vitamine in den Mund.
Abends zelten wir auf einem Plateu mit Blick auf Mt. St. Helens. Die Nächte sind nun deutlich kälter und die nächsten zwei Tage wandern wir durch Regen und dichten Nebel. Ausgerechnet am regnerischsten Tag muss ein reißender Gletscherfluss durchwatet werden, brrr... Als wir Trout Lake erreichen – ein kleiner Ort einige Meilen abseits vom PCT, der für seine unwiderstehlichen Huckleberry Milchshakes berühmt ist, kommt die Sonne erstmals wieder hervor.
Der Trail führt hinter Trout Lake weiter aufwärts, bis Mt. Adams vor uns auftaucht. Wir laufen durch Bergwiesen und einige Lavafelder an dem imposanten, gletscherbedeckten Berg vorbei. Um die letzten Sommertage gebührend auszukosten, schwimmen wir abends in einem schönen, aber leider doch recht eisigen See mit Aussicht auf Mt. Adams.
Am nächsten Tag gelangen wir in die Goat Rocks Wilderness. Erst führt der Trail durch waldiges Gebiet, aber sobald wir die Grenze zum Yakima Reservat überschreiten, eröffnet sich uns hinter der nächsten Bergkuppe ein grandioser Ausblick auf ein weites Bergmassiv, rauschende Wasserfälle und tief unten grüne Täler. Wir steigen noch einige Hundert Meter höher und rasten dann am Berghang, um diesen wunderschönen Anblick zu genießen. Dann überqueren wir den Cispus Pass und schon tut sich das nächste Bergparadies auf! Abends zelten wir kurz vor dem höchsten PCT Punkt Washingtons. Durch die vielen Waldbrände hängt noch immer viel Rauch in der Luft; An diesem Abend leuchtet die Sonne dadurch wie ein roter Feuerball.
Am nächsten Morgen machen wir uns an die letzten Meilen bergauf, bis zur Weggabelung am Old Snowy Mountain. Am höchsten Punkt genießen wir unser Frühstück vor dem wohl spektakulärsten Ausblick überhaupt! Zu unserer Linken thront Mt. Rainier, rechts ziehen sich schroffe Felsen durch das weite Tal und die Schneefelder glitzern in der Morgensonne. Ein paar Murmeltiere sonnen sich nur wenige Meter von uns entfernt auf den Felsen. Dann geht es weiter über "Knife's Edge", ein langgezogener Grat, der uns durch die alpine Landschaft führt. Der Trail ist zum Teil sehr schmal und steil, mit kleinen Kletterpartien, und die Altschneefelder sind rutschig vereist. Wir treffen eine Französin, die mit Höhenangst zu kämpfen hat und begleiten sie über den vereisten Teil. Die Landschaft ist so beeindruckend, dass wir ständig innehalten und gegen Mittag stellen wir fest, dass wir nur 6 km weit gekommen sind. – Aber durch so eine fantastische Natur möchte man einfach nicht durchhasten.
Etwa 20 km vor White Pass treffen wir auf zwei Männer mit Pferden. Sie sind mit Gewehren und drei Maultieren, die ihr Gepäck tragen, ausgestattet und auf der Jagd nach einem großen Bären, der hier in der Gegend wohl des öfteren in die Camps eindringt. Viele Leute hängen ihr Essen nachts nicht in die Bäume; Wenn die Bären dann erstmal auf den Geschmack der Campingküche gekommen sind, kommen sie immer wieder zurück und müssen in einigen Fällen geschossen werden. – Sehr traurig, denn Essen hochzuhängen ist nun wirklich kein großer Akt. Die Cowboys berichten außerdem, dass der PCT nördlich von White Pass gerade wegen eines Feuers gesperrt wurde. Aber vielleicht hätten wir Glück und die Situation ist in 1-2 Tagen entspannter. Wir werden sehen.
Nach einer sehr stürmischen Nacht steigen wir die letzten Meilen zum White Pass ab. Dort gibt es genau ein öffentliches Gebäude: eine Tankstelle mit Bistro, das "Kracker Barrel", die Pizza verkauft – was will man auch mehr?
Washington on fire...
Am White Pass erfahren wir, dass der Rauch vom Norse Peak Feuer weiter nach Norden geweht wurde und der PCT wieder bis zum Chinook Pass geöffnet ist. Wir können also zwei Tage wandern, bis wir auf die Fire Closure treffen. Anschließend müssen wir eine Mitfahrgelegenheit um das Feuer finden. Da man am Chinook Pass keinen Handyempfang hat und der dortige Highway 410 gesperrt ist, verabreden wir uns bereits im Voraus mit Trailangel Scott, der anbietet, Hiker über die Forest Roads zu shutteln. Klingt nach einem Plan, also los!
Vom White Pass aus geht es hoch in die Mt. Rainier Wilderness. Mt. Rainier hat uns ja schon in der letzten Woche begleitet, jetzt ist er ganz nah, doch durch den Feuerrauch ist seine schneeweiße Spitze kaum zu erkennen. Der Trail schlängelt sich an Berghängen entlang und an zahlreichen blauen Seen in den Tälern. Bei einer erfrischenden Badepause entdecken wir einen großen Bären am gegenüberliegenden Ufer. Er frisst sich erst an den Blaubeeren satt und ruht sich dann im Schatten der Bäume aus. Wir sammeln ebenfalls Blaubeeren und genießen dann unsere neueste Lunchkreation: Tortillas mit Nutella und frischen Beeren, yummy!
Als wir am Chinook Pass ankommen, wartet bereits Trailangel Scott auf uns. Eigentlich wollten wir zum Tacoma Pass hochfahren und einen größeren Bogen um das Feuer machen, aber Scott meint, der PCT sei ab Ulrich's Cabin bei Goverment Meadows wieder geöffnet und auch besser zu erreichen. Die Infos der Feuerwehr bestätige dies. Also geht es nach Goverment Meadows.
Wir zelten neben Ulrich's Cabin, einer kleinen Holzhütte im Wald. Abends zieht Rauch vom Feuer über die Wiesen, jedoch noch in einiger Entfernung. Als wir jedoch am nächsten Morgen aufwachen, liegt der Rauch dick über unserem Zelt. Wir packen rasch unsere Rucksäcke und machen uns auf den Weg. Je weiter wir laufen, desto rauchiger wird es. Eigentlich sollte es in Richtung Norden doch besser werden... Die Augen brennen und wir ziehen unsere Bufftücher über Mund und Nase, um in dem Qualm besser atmen zu können. Nach anderthalb Stunden und drei Täler weiter entscheiden wir umzukehren. Es gibt zwei Meilen hinter uns eine kleine Forest Road, die zum 15 Meilen entfernten Highway führt. Wir wandern den schmalen Schotterweg runter und schließlich passieren wir ein Schild, auf dem steht, dass die Straße bereits wegen dem Feuer geschlossen wurde. Wir nehmen eine andere Forest Road. Nach zwei Stunden kommen uns schließlich zwei Pick-Ups entgegen; Zwei Familien mit sieben Kindern und drei anderen Hikern, die ebenfalls vor dem Rauch geflüchtet sind. Die Fahrer sind super nett und bieten an, uns alle aus dem gesperrten Gebiet rauszubringen. Wir klettern auf die Ladeflächen und los geht's: in 3,5 Stunden über holprige Waldwege und zwei Pässe bis zum Snoqualmie Pass. Unterwegs können wir die lodernden Feuer in den Bergen sehen. Noch am selben Tag wird der PCT bis hoch nach Snoqualmie gesperrt. Puh!
Wir teilen uns zu viert ein Zimmer im Summit Inn und dann heißt es abwarten... Der kleine Skiort ist so verraucht, dass man die Berge nicht mehr erkennen kann. Zwei Dörfer weiter südlich werden evakuiert und man soll möglichst drinnen bleiben oder Atemmasken tragen. Apokalyptische Stimmung.
Was nun? Weiter nördlich, an der kanadischen Grenze, breitet sich das Diamond Creek Feuer aus und droht den PCT zu erreichen, etwa 10 Meilen nördlich von uns brennt das Alpine Lakes Feuer und hinter uns ist alles wegen dem Norse Peak Feuer gesperrt. Abbrechen?—Nein! Es sind doch nur noch 430 km bis zum Ziel...
Am dritten Tag dreht der Wind und es wird langsam ein wenig besser, erstmals ist die Sonne wieder schwach hinter den grauen Rauchschleiern zu erkennen. Wir beschließen, weiter zu wandern und für 27 Meilen eine Alternativroute weiter westlich zu nehmen. Damit sollten wir das nächste Feuer sicher umlaufen können. Vor uns liegt die Alpine Lakes Wilderness – einer der schönsten (wenn nicht DER schönste) Abschnitt Washingtons. Drückt uns die Daumen, dass der Rauch nicht alles verdeckt...
Der letzte Abschnitt des PCTs führt uns zunächst in einer Woche vom Stevens Pass bis nach Stehekin, und von dort in weiteren 5,5 Tagen bis nach Manning Park, Kanada.
Als wir Stevens Pass verlassen ist es noch sommerlich warm, doch schon kurz darauf sinken die Temperaturen rapide und die nächsten drei Tage genießen wir den farbprächtigen Indian Summer in den Bergen. Vor allem die Blaubeersträucher leuchten durch den ersten Frost nun in einem kräftigen Rostrot. Wir wandern durch die Glacier Peak Wilderness und weiter hoch zum Red Pass. Die weite Landschaft mit vielen Gletschern und Seen ist fantastisch. Außerdem können wir viele Tiere beobachten, die eifrig Gräser und Moose für ihr Winterlager sammeln. Besonders putzig ist ein erstaunlich zutrauliches Murmeltier, das immer wieder neugierig aus seinem Bau herauskommt und sich jedes mal etwas näher an uns heran wagt, bis es direkt neben uns sitzt.
Am dritten Abend treffen wir zwei andere Hiker, die wir zuletzt in Nordkalifornien gesehen haben. Sie erzählen, dass sie am Nachmittag einen Ranger getroffen haben, der sie vor Neuschnee in den Bergen gewarnt hat. Wir sind alle etwas besorgt, angesichts der plötzlich so kalten Temperaturen. Vor uns liegen noch drei große Berge und Pässe bis wir Stehekin erreichen.
Am darauf folgenden Tag haben wir gerade den ersten Aufstieg geschafft und blicken auf die gegenüberliegenden Gletscher, als der erste Regen einsetzt. Kurz darauf schüttet es wie aus Kübeln während wir uns an den langen Abstieg machen. Nach vier Stunden bauen wir klitschnass unser Zelt auf, kochen noch schnell draußen im Regen (im Zelt essen geht ja wegen den Bären nicht) und hoffen darauf, dass es am nächsten Tag besser wird...
Am nächsten Morgen wachen wir jedoch wieder zum Prasseln des Regens auf unserem Zeltdach auf. Als wir aus dem Zelt kriechen, sehen wir, dass die Berge mit Neuschnee bedeckt sind. Wir machen uns an den nächsten großen Aufstieg. Ab etwa 4500 feet verwandelt sich der Regen in Schnee. Verrückt, wo doch vor drei Tagen noch so sommerliche Stimmung herrschte! Meine angeblich wasserdichten Stiefel füllen sich zunehmendst mit Schmelzwasser – sie sind einfach schon viel zu durchgelaufen und zerlöchert, und die nächsten Morgende kostet es einige Überwindung bei Frost in die nasskalten Socken und Stiefel zu steigen. Der Regen hält drei Tag an. Wir machen kaum Pausen und versuchen beim Laufen warm zu bleiben. Es geht weiter über den letzten Berg vor Stehekin und dann in einem langen Abstieg über mehr als 30 km runter ins Tal. Nach einer Woche erreichen wir die High Bridge Ranger Station, von wo aus ein kleiner, roter Shuttlebus die 11 Meilen nach Stehekin fährt.
Entlang des PCTs sind fast alle Orte sehr, sehr klein, aber hier in den North Cascades ist man wirklich in einer extrem abgeschiedenen Gegend. Stehekin ist ein verträumtes Örtchen inmitten wilder Natur und ab sofort ganz hoch auf der Liste meiner liebsten Orte! Um hierher zu gelangen, kann man entweder, wie wir, einige Tage lang über die Berge steigen oder aber auf dem Wasserwege anreisen; Straßen in andere Orte gibt es keine. Das beste an Stehekin ist jedoch der fanatastische Ausblick auf die umliegenden Berge und Lake Chelan, den größten natürlichen See Washingtons.
Einige Meilen außerhalb des Ortes hat ein Paar (ehemalige PCT Hiker, die sich ebenfalls in die Gegend verliebt haben) eine rustikale, urig eingerichtete Bäckerei eröffnet, in deren Auslage es allerlei frisch gebackene Pies, Kuchen und Herzhaftes gibt—alles ganz liebevoll gemacht, nicht die typische Auswahl der städtischen Bäckereiketten. Der Bus hält unterwegs eine viertel Stunde an der Bäckerei und macht uns hungrige Hiker damit sehr glücklich!
Im Ort gibt es eine Lodge, deren Rezeption zugleich der General Store ist, ein Post Office und ein Nature Center. Hiker dürfen umsonst campen und in einem kleinen gelben Holzhaus stehen Waschmaschine, Trockner und eine Dusche zur Verfügung. Wir bleiben einen Tag, trocknen unsere Ausrüstung und Klamotten und genießen die wundervolle Aussicht auf Lake Chelan von der großen Veranda vor dem Store aus. Im Post Office wartet außerdem unser letztes Versorgungspaket.
Dann geht es weiter: die letzte Etappe nach Kanada.
Von der High Bridge Ranger Station führt der Trail 25 Meilen lang kontinuierlich bergauf. Am zweiten Morgen passieren wir Rainy Pass — zum Glück bei Sonnenschein. Dann geht es weiter hoch auf einen spektakulären Pass mit dem ermutigenden Namen Cutthroat Pass. Wir genießen noch einen Tag das trockene, aber auf den Hochebenen sehr kalte Wetter, bevor es auf dem Weg zum Harts Pass wieder zu regnen anfängt. Es ist, als würde uns das Wetter sagen wollen: los jetzt, Zeit in Kanada anzukommen! Am Harts Pass gibt es eine kleine Ranger Station mit Camp, wo wir eine eisige Nacht verbringen. Die Schlafsäcke werden einfach nicht mehr richtig trocken. Obendrein schließen nun auch die Reißverschlüsse unseres Innenzelts nicht mehr und somit teilen wir unser Lager regelmäßig mit Mäusen und diesen langbeinigen Waldspinnen.
Nach dem Aufstieg über Harts Pass folgt eine schöne alpine Strecke mit Blick auf die schneebedeckten Gipfel. Die Wolken hängen so tief, dass man zwischenzeitlich komplett im Nebel steckt und die Luft ganz nass ist. Wir zelten relativ hoch, zusammen mit ein paar anderen Hikern. Am nächsten Morgen wachen wir in dickem Nebel auf, doch sobald wir zusammengepackt haben und ein paar hundert Meter aufgestiegen sind, befinden wir uns plötzlich über den Wolken in herrlichstem Sonnenschein. Unser vorletzter Tag auf dem Trail beschenkt uns mit einem blauen, klaren Himmel und einer wunderschönen Strecke entlang der zackigen Bergmassive der North Cascades, die den Abschied nicht gerade leichter macht...
Dann geht es runter zum Northern Terminus, einem hölzernen Monument, das auf der Grenze zwischen den USA und Kanada steht und das nördliche Ende des PCTs markiert. Es sieht genauso aus wie sein Gegenstück an der mexikanischen Grenze, wo wir vor fünfeinhalb Monaten gestartet sind, nur diesmal eben mit kanadischer Flagge. Der Grenzstreifen selbst besteht einfach aus einer etwa 5 Meter breiten, in den Wald geschlagenen Schneise, lustig. Neben dem Monument liegt das vom Regen durchweichte PCT Thruhiker Register, in dem auch wir uns nun verewigen. "PCT 2017 — Ice & Fire" ist das diesjährige Motto, natürlich :-)
Wer kein Thruhiker Permit für Kanada hat, muss an dieser Stelle umdrehen und zurück zum Harts Pass laufen. Für alle anderen sind es noch 8 Meilen bis nach Manning Park. Wir campen kurz hinter dem Monument auf kanadischer Seite und laufen die letzten 8 Meilen in aller Stille am nächsten Morgen. Einmal geht es noch rauf in die Berge und durch den schönen Herbstwald. Dann stehen wir vor der Tür des Manning Park Resorts. Und damit ist es geschafft!!!
Fünfeinhalb Monate in der Natur — was für ein unvergessliches Abenteuer. Wir sind super glücklich, es hierher geschafft zu haben und unendlich dankbar für diese intensive Zeit in der Wildnis, all die wunderbaren Begegnungen mit anderen Hikern, Trailangeln und den vielen hilfsbereiten und offenherzigen Menschen, die uns unterwegs begegnet sind.
Einerseits freuen wir uns riesig auf unsere Freunde und Familie daheim und andererseits wünschten wir, wir könnten einfach immer weiter wandern...
Thanks so much, PCT 2017!!!
Weiter lesen: Rückkehr in die Sierra Nevada